Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen: Frauen-Union fordert mehr Betreuungsplätze und den Ausbau niedrigschwelliger Hilfen

Bayreuth. Die Zahlen sind alarmierend: Acht von zehn Kindern fühlen sich durch die Corona-Pandemie psychisch belastet. Wie aktuelle wissenschaftliche Studien zeigen, hat sich das Risiko für Kinder psychisch zu erkranken seit Ausbruch der Pandemie deutlich erhöht. Wie kann die Situation verbessert werden? Welcher zusätzlichen Hilfsangebote bedarf es?

Hierüber diskutierte die Frauen-Union auf Einladung der Bezirksvorsitzenden der Frauen-Union Oberfranken und Bundestagsabgeordneten Dr. Silke Launert und Claudia Krüger-Werner, Leiterin der Projektgruppe „Verbindungen leben – Netzwerke pflegen“, mit Experten aus Medizin und Politik – unter anderem mit der Staatsministerin Melanie Huml, Dr. Andrea Schöppner, Ärztliche Psychotherapeutin für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, sowie mit Martin Degenhardt, Geschäftsführer der Freien Allianz der Länder-KVen.

Die Bayreuther Bundestagsabgeordnete Launert skizzierte in ihrem Impulsvortrag zunächst die aktuelle Problemlage unter Heranziehung der namhaften COPSY-Studie des Universitäts-Klinikums Hamburg-Eppendorf, welche die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen untersucht. Die Situation sei schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie äußerst angespannt gewesen, habe sich durch diese aber nochmals massiv gesteigert, so die Bezirksvorsitzende. Hinzu kämen nun eine nicht geringe Anzahl von traumatisierten Kindern und Jugendlichen, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen seien. Launert war es zudem besonders wichtig zu betonen, dass Kinder und Jugendliche im Bedarfsfall so schnell wie möglich Unterstützung erhalten müssen, damit sich die psychische Erkrankung nicht weiter verfestige. Durch zu langes Warten könnten immense Langzeitfolgen verursacht werden, die auf das gesamte weitere restliche Leben der betroffenen Kinder und Jugendlichen ausstrahlen und dieses massiv beeinträchtigen würden. Probleme im Erwerbsleben bis hin zur Erwerbsunfähigkeit, Drogenkonsum und Bindungsstörungen – alle diese Probleme könnten Langzeitfolgen einer unerkannten beziehungsweise zu spät behandelten psychischen Erkrankung im Kindesalter sein. Die derzeitige Wartezeit von durchschnittlich fast einem halben Jahr auf einen Therapieplatz sei vor diesem Hintergrund absolut nicht hinnehmbar. „Jeder Euro, den man in den Bereich der Behandlung und Früherkennung investiert, zahlt sich um ein Vielfaches aus“, so Launert weiter.

Die Diskussionsteilnehmer waren sich darin einig, dass auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig angesetzt werden müsse, um die Situation spürbar zu verbessern. Ein zentraler Ansatzpunkt sei insoweit die Ausweitung der Aufklärungsarbeit an Schulen und Kitas. Darüber hinaus müssten auch bestehende Beratungsangebote, die niedrigschwellig erreichbar seien, ausgebaut werden. Die Bayerische Staatsministerin Melanie Huml nannte in diesem Zusammenhang die kostenlose und rund-um-die-Uhr erreichbare Rufnummer des Krisendienstes Bayern (0800 / 655 3000), unter welcher Menschen in Krisen sowie auch ihre Angehörigen Hilfe erhalten könnten. „Niedrigschwellige Hilfe ist unverzichtbar. Um an dieser Stelle noch effektiver zu werden, müssen wir die Telefonseelsorge stärker bewerben und auch in Oberfranken ausbauen. Zudem müssen wir dort ansetzen, wo psychische Erkrankungen am ehesten sichtbar werden, also insbesondere in den Kitas und Schulen. Das Angebot der Schulsozialarbeit muss weiter ausgebaut und Lehrerinnen und Lehrer sensibilisiert werden. Wenn niemand die Signale und stillen Hilferufe der Kinder wahrnimmt und auf sie reagiert, sei es innerhalb der Familie oder innerhalb des weiteren sozialen Umfeldes des Kinders, verpassen wir eine riesige Chance“, so Launert.

Eingehend thematisiert wurde ferner der Mangel an Therapieplätzen sowie die Besetzung von vakanten Stellen. Ein vom Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) in Auftrag gegebenes Gutachten hatte im Jahr 2019 festgestellt, dass bei einem Versorgungsgrad von 100 Prozent rund 1.600 Psychotherapeuten-Plätze fehlen, bei einem Versorgungsgrad von 110 Prozent knapp 2.400. Geschaffen wurden im Rahmen der Änderung der Bedarfsplanungs-Richtlinie dann allerdings nur knapp 800 neue Plätze. Martin Degenhardt, Geschäftsführer der Freien Allianz der Länder-KVen, verwies darauf, dass oberstes Ziel die Schaffung weiterer Psychotherapeutensitze sein müsse. Hierfür müsse die Verhältniszahl, die angibt, wie viele Patientinnen und Patienten auf einen Therapeuten kommen, abgesenkt werden.

Angesprochen wurde in diesem Zusammenhang außerdem, dass es in ganz Oberfranken-Ost gerade einmal vier Kinder- und Jugendpsychiater – drei in der Kreisregion Bayreuth, einen in der Kreisregion Hof gibt. Von den drei Bayreuther Kinderpsychiatern wird jedoch einer zeitnah den Betrieb seiner Praxis einstellen. Zwei freie Plätze sind bereits derzeit unbesetzt. Der Versorgungsgrad liegt damit aktuell bei 66, 41 Prozent.

Das Fazit der Diskussionsrunde war auch an dieser Stelle eindeutig: Es braucht dringend eine Überarbeitung der Bedarfsplanung, mehr Therapieplätze, mehr Studienplätze sowie die Schaffung von gezielten Anreizen und den Abbau von Zugangshindernissen, um Schulabsolventen dazu zu motivieren, Psychologie zu studieren und im Anschluss dann als Psychotherapeutin / Psychotherapeut zu praktizieren.

Ein weiterer, nicht minder bedeutsamer Lösungsansatz, so waren sich die Teilnehmer überdies einig, sei die Ausweitung der verschiedenen Formen der Gruppentherapie. Zur Sprache gebracht wurde dieser Punkt von Tina Sendl, welche an einem Bayreuther Krankenhaus kranke Kinder und Jugendliche unterrichtet. Nicht nur die erkrankten Kinder seien mit der Situation überfordert, auch ihre Eltern fühlten sich oftmals allein gelassen und erhielten zu wenige Informationen über den Ablauf der Therapie. Was kommt auf uns als Eltern zu? Wie gehe ich mit meinem Kind und meinen eigenen Gefühlen in dieser für die gesamte Familie herausfordernden Situation um? „Die Stärkung von Selbsthilfegruppen, gerade auch für betroffene Eltern und Geschwisterkinder ist immens wichtig. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass therapeutische Einzelangebote noch nicht ausreichend vorhanden sind, ist diese Form der Therapie ein absolut sinnvoller Ansatz, der weiter ausgebaut und vor allem noch bekannter gemacht werden muss“, betonte auch die Bundestagsabgeordnete Silke Launert.

Am Ende der Gesprächsrunde fasste Launert die zentralen Forderungen noch einmal zusammen: Ausbau der vorhandenen sowie Schaffung neuer zusätzlicher niedrigschwelliger Angebote, insbesondere an Schulen und Kitas, die Bekanntmachung bestehender Hilfsangebote, wie etwa der Hotline des Krisendienstes Bayern, die Schaffung von mehr Therapieplätzen, mehr Studienplätzen sowie die Schaffung von Anreizen, damit mehr Schulabgänger sich für den Berufsweg des Psychotherapeuten / der Psychotherapeutin entscheiden sowie der Ausbau der Möglichkeit der Gruppentherapie seien die zentralen Stellschrauben, an welchen so schnell wie nur möglich gedreht werden müsse.

Abschließend sagten die Bundestagsabgeordnete Silke Launert und die anwesenden Vertreterinnen der Frauen Union zu, die Forderungen aus der Diskussionsrunde mitzunehmen, sich für dieses Thema weiterhin mit Herzblut stark zu machen und unter anderem bei dem nächsten Parteitag einen entsprechenden Antrag einzubringen.