Jugendarbeit in der Pandemie: Mehr Wertschätzung und psychische Belastung ernst nehmen

Bayreuth. Depression, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Magersucht: Psychische Probleme haben in der Corona-Pandemie zugenommen – auch Kinder und Jugendliche leiden unter fehlenden Kontakten, die zu Einsamkeit und Störungen in der Entwicklung führen können. Sie dürfen in der Pandemie nicht vergessen werden. Das fordern der Kreisjugendring (KJR) und der Stadtjugendring (SJR) Bayreuth. In einer Videokonferenz mit der Bundestagsabgeordneten Dr. Silke Launert schilderten die Vertreter der Jugendarbeit ihre Lage und die Auswirkungen der Pandemie auf die Jugend.

Kein Fußballtraining, kein Sportangebot, keine Jugendarbeit. Nicht nur Geschäfte und Gastronomie haben während des Lockdowns geschlossen – auch Angebote für Kinder und Jugendliche dürfen nicht stattfinden. Dabei seien gerade für junge Menschen soziale Kontakte für die Entwicklung essentiell, sagt die Vorsitzende des SJR, Nancy Kamprad. Die Langzeitfolgen der Kontaktbeschränkungen für die psychische Gesundheit seien vielen nicht bewusst.

Deshalb wünschen sich die Vertreter der Jugendarbeit in Stadt und Kreis Bayreuth, dass die Jugendarbeit einen höheren Stellenwert in der Politik erhält – auch mit Blick auf mögliche Lockerungen der Corona-Maßnahmen. „Es ist wichtig, dass die Jugendarbeit, wenn es wieder Lockerungen gibt, nicht als letztes dran kommt“, fordert Stefanie Ogurok, Einzelpersönlichkeit im SJR und für die kommunale Jugendarbeit in der Stadt zuständig.

Kinder und Jugendliche dürfen nicht auf Schüler reduziert werden, sagt der Geschäftsführer des KJR, Rainer Nürnberger. Sie haben auch freizeitliche Bedürfnisse. Dies werde in der Diskussion um die Öffnung meist vergessen. Die Rede sei nur von Schule und Kitas – nicht aber von Freizeiteinrichtungen.

Dennoch spiele das Thema Schule und Homeschooling natürlich eine große Rolle für Kinder und Jugendliche. Familien stehen vor großen Herausforderungen. An der Technik und Digitalisierung hapere es auch im zweiten Lockdown noch immer, berichtet Stefanie Reinl, stellvertretende Vorsitzende des KJR und selbst Lehrerin an der Mittelschule in Pegnitz aus Erfahrung. „Mittelschüler dürfen nicht vergessen werden. Wir dürfen nicht immer nur über Gymnasiasten sprechen“, ergänzt Andrea Bauer vom KJR und ebenfalls Lehrerin an einer Grund- und Mittelschule.

Laut einer Studie des Instituts für Sozial- und Organisationspädagogik an der Stiftung Universität Hildesheim und des Instituts für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung an der Universität Frankfurt leidet ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen mittlerweile an psychischen Problemen aufgrund der Corona-Pandemie und fehlender Kontakte. „Es ist frustrierend“, sagt Nürnberger. Trotz guter Hygienekonzepte, dürften keinerlei Angebote stattfinden. Selbst kleine Veranstaltungen wären wichtig und ein guter Schritt, ergänzt Ronny Schuster, stellvertretender Vorsitzender des SJR. Und: „Die Jugendarbeit wurde in den vergangenen Jahren allgemein stiefmütterlich behandelt. Dass es vielen jetzt psychisch schlecht geht, ist die Konsequenz daraus. Wir müssen schnell eingreifen.“

Für die Jugendarbeit wünschen sich die Vertreter vor allem etwas Planungssicherheit und eine Perspektive. Eine scheibchenweise Verlängerung der Maßnahmen sei nicht gut, sagt Stefan Greißinger, Geschäftsführer des SJR.

Die Forderung nach Planbarkeit sei jedoch schwierig, sagt Bundestagsabgeordnete Dr. Silke Launert. Die Regierung könne nicht vorhersehen, wie sich die Zahlen entwickeln und deshalb keine Lockerungen zu einem bestimmten Zeitpunkt versprechen. Doch es sei auch ein klares gesundheitliches Argument, dass ein Fünftel der jungen Leute seelische Probleme hat. „Das fällt ins Gewicht. Es geht um eine Abwägung mit dem Gesundheitsschutz“, sagt Launert. Sie werde die Anregungen und Erfahrungen aus der Praxis in ihre politische Arbeit in Berlin einbringen.

Klar wurde in dem Austausch auch, dass Jugendarbeit Geld kostet – vor allem auch, um die analoge  mit der digitalen Jugendarbeit verbinden zu können. Zudem haben die Organisationen in der Pandemie mehr Kosten. Die gleiche Anzahl an Betreuern für weniger Jugendliche, die an den Angeboten teilnehmen können, mehr Material, keine Einnahmen aus Verkäufen. Hart getroffen hat die Jugendarbeit, dass die Stadt wegen der Krise Geld für die Jugendpartizipation gestrichen hat. Sparen an der falschen Stelle, findet Ronny Schuster. Doch Geld sei nicht alles, sagt Stefan Greißinger. Es brauche auch Vertrauen in die Hygienekonzepte und Wertschätzung der ehrenamtlichen Arbeit, sagt Jutta Bühl, Einzelpersönlichkeit im SJR.

Dazu fordern der KJR und der SJR auch, dass mehr mit den Jugendlichen und nicht nur über sie geredet wird. Sie hätten gute und kreative Ideen und Lösungen. Die Jugend müsse gehört und mehr von der Politik einbezogen werden, sagt Greißinger. Eine Anregung, die auch die Bundestagsabgeordnete gerne mitnimmt. Launert, die regelmäßig Schulklassen besuchte und seit Corona diese notgedrungen auslassen musste, will künftig versuchen – gegebenenfalls digital – den Kontakt zu Schülern wieder zu intensivieren.

Ein weiterer Aspekt, der in dem Gespräch herauskam, war, dass außer Kindern und Jugendlichen auch junge Erwachsene, Studenten, vermehrt unter der Pandemie leiden. Neben psychischen Problemen berichtet Bernadette Pirkelmann vom KJR, die selbst Studentin ist, auch von finanziellen Sorgen. Nebenjobs in der Gastronomie, mit denen viele Studenten ihr Studium finanzieren, sind weggefallen, staatliche Hilfen kommen nicht immer an. Dies gehe soweit, dass einige aus Pirkelmanns Umfeld sogar überlegen, ihr Studium abzubrechen und eine Ausbildung zu beginnen, um Geld zu verdienen.

Es zeigte sich, dass die Corona-Krise von jedem viel abverlangt und fordert – aber auch, dass Kinder und Jugendliche zusätzlich vor ganz eigenen Problemen stehen, die in der Diskussion um Maßnahmen und schrittweise Öffnungen nicht vergessen werden dürfen und mehr in den Fokus gerückt werden müssen.